Expertenrat für Klimafragen: Scharfe Kritik am Bundesverkehrsministerium

am . Veröffentlicht in Mobilität & Verkehr

Volker Wissing

 

Der Expertenrat für Klimafragen, kurz ERK, ist vielen noch nicht bekannt. Dieser Klimarat ist ein auf Basis des deutschen Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) im August 2020 eingerichtetes Gremium mit Sitz in Berlin, das die die vom Umweltbundesamt vorgelegten Emissionsdaten prüft und der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag eine Risikobewertung der veröffentlichten Daten vorlegt. Der neue Prüfbericht sorgt für Aufsehen, denn: Das Bundesverkehrsministerium unter Volker Wissing erhält ein vernichtendes Urteil. Die Verkehrswende liegt in weiter Ferne.

In dem gemäß § 12 Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) erstellten Bericht prüft der Expertenrat für Klimafragen die Annahmen, die den von den zuständigen Bundesministerien am 13.07.2022 vorgelegten Sofortprogrammen für die Sektoren Gebäude und Verkehr zugrunde liegen. Die Prüfung des Expertenrats folgt einem dreigliedrigen Schema, das sowohl die Prüfung der ausgewiesenen Emissionsminderung im Hinblick auf die Einhaltung des KSG-Zielpfads beinhaltet als auch die Prüfung des Vorgehens zu deren Berechnung und der Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung.

Prüfung des Sofortprogramms für den Gebäudesektor

Der Expertenrat für Klimafragen stellt fest, dass das vorgeschlagene Sofortprogramm für den Gebäudesektor bei Realisierung der von den Ministerien BMWK und BMWSB angegebenen Minderungswirkung in Höhe von 137 Mt CO2-Äq. in Verbindung mit einem geänderten Referenzpfad die Bedingung an ein Sofortprogramm gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz (§ 8 Abs. 1 KSG) erfüllen würde, allerdings nur in einer weiten Auslegung dieses Kriteriums. Zwar würde es trotz des Sofortprogramms in den Jahren 2022-2027 weiterhin zu Überschreitungen der KSG-Vorgaben kommen.

Ab dem Jahre 2028 weisen die Ministerien aber entsprechende Unterschreitungen aus, so dass die kumulierte Erfüllungslücke zwischen Emissionspfad und KSG-Zielpfad bis zum Jahr 2030 ausgeglichen würde. Die vertiefende Prüfung der Annahmen zeigt, dass die Realisierung der von den Ministerien ausgewiesenen THG-Minderungen nur teilweise wahrscheinlich ist. Insgesamt wird daher die Einhaltung der KSG-Vorgaben durch das Sofortprogramm nicht sichergestellt.

Dennoch ist aus Sicht des Expertenrats davon auszugehen, dass das Sofortprogramm einen substanziellen Beitrag zur Minderung der Emissionen in diesem Sektor leisten wird. „Rechnerisch würde der Gebäudesektor summarisch sein Emissionsziel bis 2030 erreichen, wenn die durch die Ministerien angegebenen Treibhausgasminderungen in vollem Umfang einträfen“, sagt Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats für Klimafragen. „Ob die Einsparungen allerdings wirklich in diesem Umfang realisiert werden können, erscheint nach unserer Prüfung fraglich.“ Zudem weist er auf das steigende Risiko der Zielverfehlung hin, wenn zunächst die weitere Erhöhung der Erfüllungslücke zwischen dem Emissionspfad und dem KSG-Zielpfad in Kauf genommen wird und starke Minderungen erst zum Ende des Jahrzehnts erfolgen sollen. „Hier stellt sich auch die Frage an den Gesetzgeber, ob dies im Sinne der Intention des Bundes-Klimaschutzgesetzes ist.“

Prüfung des Sofortprogramms für den Verkehrssektor

In Bezug auf das vorgeschlagene Sofortprogramm für den Verkehrssektor stellt der Expertenrat für Klimafragen fest, dass dieses zwar eine emissionsmindernde Wirkung entfaltet, aber nicht die Anforderung an ein Sofortprogramm gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz (§ 8 Abs. 1 KSG) erfüllt. „Das Sofortprogramm für den Verkehrssektor spart nach Angaben des Verkehrsministeriums nur 14 Megatonnen an Treibhausgas-Emissionen ein, so dass sich rechnerisch immer noch eine Erfüllungslücke von 261 Megatonnen bis 2030 ergibt“, so Brigitte Knopf, stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats.

Das zuständige Ministerium BMDV hat in diesem Zusammenhang auf das für die nahe Zukunft angekündigte deutlich umfassendere Klimaschutz-Sofortprogramm 2022 der Bundesregierung verwiesen, zu welchem der Expertenrat gemäß § 12 Abs. 3 KSG dann eine Stellungnahme abgeben wird. Von einer vertiefenden Prüfung der Annahmen des Sofortprogramms für den Verkehrssektor hat der Expertenrat für Klimafragen daher zum jetzigen Zeitpunkt abgesehen.

„Im Verkehrssektor wird das übergreifende Klimaschutz-Sofortprogramm erheblich über das vorgelegte sektorale Sofortprogramm hinausgehen müssen“, sagt Knopf und ergänzt: „Anderenfalls könnte das sektorale Klimaziel zum Jahr 2030 deutlich verfehlt werden. Daraus könnten sich kritische Herausforderungen auch in Bezug auf die europäischen Vorgaben ergeben.“

Auch Verbände äußern Kritik am Bundesverkehrsministerium. Das fehlende Bekenntnis zu einer Reform des Straßenverkehrsgesetzes hält beispielsweise der ADFC für den gröbsten Fehler des Programms. ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider sagt: „Die Bundesregierung muss jetzt endlich liefern und das ‚große‘ Klimaschutzsofortprogramm mit schnell wirksamen Maßnahmen vorlegen. Darin muss die Reform des Straßenverkehrsgesetzes eine zentrale Rolle spielen. Den Radverkehr beschreibt das Ministerium zu Recht als enorm wichtigen Hebel für die Klimaschutzziele im Verkehr. Das schnelle Wachstum des Radverkehrs wird aber nicht erreicht, indem Minister Wissing weiter auf der Bremse steht und erstmal ‚prüft‘ ob und wie eine Reform des Straßenverkehrsrechts geht. Er muss das StVG umgehend modernisieren und Klimaschutz, Umwelt- und Gesundheitsziele integrieren. Das ist schnell und kostengünstig umzusetzen und gibt den Kommunen die nötigen Gestaltungsspielräume für die Neuverteilung des Straßenraumes.“

Der Bericht ist hier abrufbar: https://expertenrat-klima.de/publikationen/

www.expertenrat-klima.de

Pressefoto: Dr. Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr (Quelle: BPA)



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