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Neue Tiroler Tourismusstrategie: Kein Ischgl mehr? Stattdessen ein neuer Weg mit mehr Nachhaltigkeit?

am . Veröffentlicht in Strategie, Orga & Finanzen

Tiroler Weg Akteure

 

Im Rahmen der „Lebensraum Tirol Perspektivenwoche“ standen in der vergangenen Woche „Perspektiven für eine verantwortungsvolle Tourismusentwicklung“ im Mittelpunkt. Die neue Tourismusstrategie „Tiroler Weg“ schreibe demnach betriebliche Wachstumsgrenzen ebenso fest wie die „Nachhaltigkeit“ als zentrale Leitlinie. Exzessiven Entwicklungen soll eine klare Absage erteilt werden.

„Die vergangenen Monate waren eine enorme Herausforderung – gerade für den Tourismus. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Tourismuswirtschaft wieder voll durchstarten kann. Unser Land braucht diesen Neustart und wir alle freuen uns, dass dies jetzt auch gelingt“, stellt Tirols Landeshauptmann und Tourismusreferent Günther Platter zu Beginn der Präsentation der neuen Tourismusstrategie klar.

Anziehungskraft ist hoch, Buchungslage aktuell zufriedenstellend

Die Anziehungskraft Tirols sei ungebrochen und – wie aktuelle Umfragen zum Image, aber auch zu den Reiseabsichten etwa im wichtigsten Markt Deutschland zeigten – sogar noch gestiegen. Aufgrund der noch sehr unterschiedlichen internationalen Reiseregelungen sei das von Tirol Werbung und Wirtschaftskammer Tirol aktuell erstellte Tourismusbarometer für die diesjährige Sommersaison noch etwas verhalten. Knapp die Hälfte der Tiroler Unterkunftsbetriebe sei derzeit mit der Buchungslage für die Monate Juli, August und September zufrieden bzw. sehr zufrieden. Am besten werde die Buchungslage dabei für den deutschen und österreichischen Markt bezeichnet.

Tiroler Weg soll Signalwirkung haben

Als führendes Urlaubsland der Alpen habe Tirol in seiner Entwicklung eine Signalwirkung, betont LH Platter: „Mit dem ‚Tiroler Weg‘ wird ein neues Kapitel aufgeschlagen. Tirol will vorangehen, will Modellregion sein. Und mit dieser neuen Tourismusstrategie einen Prozess starten.“ Den Tiroler Tourismus müsse man nicht neu erfinden, – aber an gewissen Stellen neu denken. Im neuen Leitbild seien daher zentrale Perspektiven für eine verantwortungsvolle Tourismusentwicklung festgelegt worden.

Neuer Tourismus-Index für Tirol geplant

Der Tourismus wurde von der überwiegenden Mehrheit der Tiroler Bevölkerung jahrzehntelang als Leitbranche betrachtet, die die Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger verbessert. Das Wohl des Landes soll auch weiterhin von einem funktionierenden Tourismus und der Akzeptanz im Land bestimmt werden. Dieses Selbstverständnis im Tiroler Tourismus soll der Tiroler Weg klar auf den Punkt bringen: Tirol stehe demnach für eine Balance aus wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit. Tirol sei die beste Verbindung aus Natur, Bewegung und Bergerlebnis weltweit. Tirol sei der Inbegriff alpinen Lebensgefühls.

In diesem Sinne strebe der Tiroler Tourismus einen Perspektivenwechsel an, der mit diesem Tiroler Weg eingeleitet werden soll: Früher wurde der Erfolg allein an Nächtigungen bzw. Ankünften festgemacht – ganz unter dem Motto „weiter, schneller, höher“. Dann rückten die Bettenauslastung und die Wertschöpfung als wirtschaftliche Kennzahlen in den Mittelpunkt.

Platter: „Künftig wollen wir die gesunde Entwicklung unseres Tourismus neben diesen wirtschaftlichen Kennzahlen auch an gesellschaftlichen, ökologischen oder Zufriedenheits-Kennzahlen messen.“ Ein neuer Tiroler Tourismus-Index soll diesen ganzheitlichen Blick auf die touristische Entwicklung schaffen. Nicht die wirtschaftlichen Kennzahlen allein, sondern gesellschaftliche Messgrößen wie Tourismuswahrnehmung oder soziale Faktoren wie Mitarbeiterzufriedenheit oder Wiederbesuchsabsichten und ökologische Messgrößen wie Anteile regenerativer Energien stehen im Vordergrund.

Eine neue Tourismusgeneration bestimmt den Kurs

Der notwendige Perspektivenwechsel werde von einer neuen Generation getragen, die auf ganz natürliche Weise neues Selbstverständnis und neue Sichtweisen einbringe. „Diesen Generationswechsel in den Tourismusbetrieben müssen wir aufmerksam begleiten und dort, wo notwendig, auch Unterstützung bieten“, ist sich LH Platter bewusst. „In wichtigen Institutionen und Gremien konnte dieser Generationswechsel bereits erfolgreich eingeleitet werden: Etwa in der Tirol Werbung oder erst vor kurzem im Tyrol Tourism Board, dem höchsten tourismuspolitischen Gremium des Landes.“

Der „Tiroler Weg“ will sich hinter den familiengeprägten Tourismus stellen

In den nächsten 15 Jahren müsse die Übergabe von rund 2.600 Unternehmen gemeistert werden, um die seit Jahrzehnten erfolgreiche familiengeführte Struktur im Tiroler Tourismus zu erhalten. Daher gebe es im Tiroler Tourismus ein großes Bündel an konkreten Zielsetzungen und Maßnahmen, um diese Familienunternehmen, die Gastgeber- und Arbeitsqualität zu unterstützen. Besonderes Augenmerk soll dabei auch den Privatvermietern und Urlaub am Bauernhof-Betrieben geschenkt werden.

Ein klares Bekenntnis zu betrieblichen Wachstumsgrenzen

Die neue Tiroler Tourismusstrategie spricht daher sehr deutlich Wachstumsgrenzen an, um kleinteiligen Tourismus und Tiroler Familienbetriebe nicht nur zu schützen, sondern Raum für Entwicklung zu geben.

Festgesetzt werde eine Obergrenze bei der Bettenanzahl für Beherbergungsgroßbetriebe. LH Platter: „Wir wollen auch keine Steigerung bei der Gesamtbettenanzahl in Tirol, sondern wir wollen eine Steigerung bei der Wertschöpfung. Und zwar durch eine bessere Auslastung der vorhandenen Betten für einen angemessenen Preis.“

Im Tiroler Weg werde daher festgelegt, dass die bestehenden Definitionen im Raumordnungsgesetz für eine Sonderflächenwidmung „Beherbergungsgroßbetrieb“ ab 150 Betten beizubehalten ist – und eine Obergrenze für eine Sonderflächenwidmung „Beherbergungsgroßbetrieb“ bei 300 Betten festzulegen. Folglich sollen in Tirol keine Hotels über 300 Betten entstehen.

LH Platter: „Wenn ich von Grenzen rede, dann gilt das ganz besonders für undurchsichtige Investorenmodelle, touristische Großbetriebe oder Chaletdörfer. Hier brauchen wir einen Konsens zwischen Kommunen, Planungsverbänden und Tourismusverbänden – insbesondere bei Widmungsfragen.“

Der Tiroler Weg lege damit nach eigener Lesart ein klares Bekenntnis gegen Spekulationsprojekte ab, die Preise nach oben treiben könnten, „kalte Betten“ erzeugten und von denen die Bevölkerung und die Gemeinden nichts hätten. Juristische „Schlupflöcher“ zu schließen – auch das soll ein Prozess im Tiroler Weg sein.

Der „Tiroler Weg“ will „Nachhaltigkeit“ konkret definieren

Im Bereich der Nachhaltigkeit formuliere der Tiroler Weg ebenfalls klare Leitlinien: Die Tiroler Tourismuswirtschaft erhebe den Anspruch, eine wegweisende Rolle in der nachhaltigen, alpintouristischen Entwicklung auf ökologischer, ökonomischer und sozialer Ebene einzunehmen. Konkret sollen in allen Tiroler Regionen ab 2022 institutionalisierte Nachhaltigkeitsstandards und das neugeschaffene „Österreichische Umweltzeichen“ für Destinationen eingeführt werden.

Im Bereich der Mobilität soll die Anreise der Gäste von derzeit 10 Prozent öffentliche Anreise auf 20 Prozent bis 2035 gesteigert werden. Bei der Vor-Ort-Mobilität werde bis 2035 eine 100prozentige Nutzung regenerativer Antriebsformen angestrebt.
Zudem will Tirol bis 2035 nur noch „klimaneutrale“ Skigebiete. Dabei würden neue Technologien konsequent zum Einsatz gebracht und verbleibende unvermeidbare Emissionen durch regionale Klimaschutzprojekte ausgeglichen.

Auch die Tourismusbetriebe würden im Bereich der Nachhaltigkeit in den drei Dimensionen ökologisch-sozial-wirtschaftlich gefördert. Festgelegt wurde ein erhöhter Fördersatz von 80 Prozent für die Tiroler Beratungsförderung bis 2025.

Die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe – insbesondere das Zusammenspiel mit der Landwirtschaft – sei ebenfalls als Bekenntnis im Tiroler Weg verankert. Dazu zähle auch, dass die Kennzeichnung der Herkunft von Lebensmittel in der Gastronomie ab sofort empfohlen werde.

Dialog mit der Bevölkerung

„Erhebungen zeigen, dass die Wahrnehmung unserer Tourismuswirtschaft in einigen Bereichen nicht mehr ihrem tatsächlichen Stellenwert entspricht. Deshalb müssen der Tourismus und seine zentrale Rolle in der öffentlichen Diskussion und Wahrnehmung neu ‚eingebettet‘ werden. Das ist ein ganz zentrales Anliegen“, betont LH Platter. Der Tiroler Weg sehe daher eine Kommunikationsoffensive vor, so LH Platter: „Der Tourismus muss die Bevölkerung wieder mit ins Boot holen. Wir brauchen ein wertschätzendes Miteinander von Einheimischen und Gästen, von Bevölkerung und Tourismus, aber auch von Unternehmerinnen und Unternehmern mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.“

Rolle der Tourismusverbände

Die Tourismuswirtschaft sei auch künftig ein sehr wesentlicher Leistungsträger für die Qualität im Lebensraum Tirol. „Am Tiroler Weg werden sich unsere Tourismusverbände noch stärker im Lebensraum-Management einbringen, weil davon alle profitieren. Ganz konkret wird künftig die Abstimmung von Verbänden mit den Gemeinden, mit den Planungsverbänden und dem jeweiligen Regionalmanagement forciert“, so LH Platter.

Auch auf dieser Ebene will der Tiroler Tourismus künftig noch stärker mit der heimischen Bevölkerung kommunizieren und um diese „werben“ – denn auch die Konzentration auf die Nahmärkte sei eine Entscheidung für nachhaltige Urlaubsformen.

Das neue Selbstverständnis

Der „Tiroler Weg“ sei auch eine Standortanalyse und biete die Möglichkeit vereinzelt aufgetretene Phänomene kritisch zu hinterfragen. LH Platter: „In unserem gemeinsam entwickelten Verständnis sehen wir den Tiroler Tourismus im Dienst der Lebensqualität der hier lebenden Menschen und im Einklang mit der Umwelt. Das schließt exzessive Entwicklungen und Handlungen, die diesem Verständnis zuwiderlaufen, aus. Mancherorts ausufernde Tendenzen und Entwicklungen im Bereich des Partytourismus passen nicht in das angestrebte Qualitätsverständnis.

„Wer hat etwas davon, wenn Busse mit jungen Menschen ohne Wintersportausrüstung für Exzesse inklusive selbst mitgebrachtem Alkohol für 24 Stunden in unser Land kommen? Hier entsteht keine Wertschöpfung vor Ort, sondern nur ein Imageschaden. Das ist nicht unser Tiroler Weg“, stellt LH Platter klar.

Der „Tiroler Weg“ soll ein Prozess sein

Mit dem „Tiroler Weg“ liege kein geduldiger Papiertiger auf dem Tisch, sondern eine Momentaufnahme, die kontinuierlicher Anstrengungen und Maßnahmen bedürfe. „Wir haben klare Verantwortlichkeiten festgelegt, damit die Umsetzung Schritt für Schritt als verbindlicher Prozess stattfinden kann. Das Tyrol Tourism Board wird hier eine ganze wesentliche Rolle einnehmen“, so LH Platter abschließend.

Florian Phleps, Geschäftsführer Tirol Werbung, zeigt sich ebenso überzeugt vom neuen Weg: „Der heute präsentierte Tiroler Weg ist ein Perspektivenwechsel, der auch den Wertewandel in unserer Gesellschaft widerspiegelt. Werte wie Natur, Freiheit und Sicherheit haben in den letzten Monaten noch mehr an Bedeutung gewonnen. Und das Signal unserer Tourismusstrategie ist klar: Wert statt Menge. Dieses Selbstverständnis wird in diesem Tiroler Weg weiter geschärft. Nachhaltigkeit, Familienbetriebe, Generationswechsel, Dialog und neue Kennzahlen zur Erfolgsmessung sind wichtige Grundpfeiler einer nachhaltigen, resilienten Tourismusentwicklung.“

www.lebensraum.tirol


Bild: Hubert Siller (Leiter des MCI Tourismus und des Strategieteams), Martina Entner (Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Tirol), Mario Gerber (Spartenobmann Tourismus und Freizeitwirtschaft der Wirtschaftskammer Tirol und Vorsitzender des Tyrol Tourism Board), Günther Platter (Tirols Landeshauptmann und Tourismusreferent), Florian Phleps (Geschäftsführer Tirol Werbung, v.l.). © Lebensraum Tirol Holding / Oss

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