Bund und Länder: Ein Musterbeispiel für misslungenes Storytelling - und was DMOs als narrative Unternehmen daraus lernen können

Geschrieben von Matthias Burzinski am . Veröffentlicht in Lernkurve (Zukunftsblog)

Merkel und Söder

 

Um es gleich vorwegzunehmen: Nein, natürlich glaube ich nicht, dass wir das Virus nur durch gutes Storytelling überwinden werden oder dass es das wichtigste Instrument wäre. Aber wenn es neben den vergeigten Lockdowns, Impfungen, Tests, Apps und sonstiger vermasselter Konzepte wenigstens eine angepasste Kommunikation gegeben hätte, wäre zumindest der Unmut in der Bevölkerung nicht so groß und wir hätten das, was Neuseeland hat: einen Teamgedanken. Und der ist jetzt wichtiger denn je. 

Was macht Neuseeland besser?

Blicken wir also zunächst nach Neuseeland, das demokratisch regierte Land, das weltweit vermutlich mit Abstand am besten durch die Pandemie navigiert. Mit einer Mischung aus harten Maßnahmen und ebenso fürsorglicher Zuwendung zu den Menschen und Bürger*innen. Nein, dem Tourismus geht es dabei nicht unbedingt besser: Das Land lässt schlichtweg keine ausländischen Reisenden mehr ins Land. Jeder, der ins Land einreist, muss eine zweiwöchige Quarantäne recht einsam in einem Hotel verbringen, um dem Virus ebenfalls keine Chance auf "Einreise" zu bieten.

Dafür verzeichnet das Land extrem niedrige Fallzahlen und lebt gemessen an den Vorgängen auf dem übrigen Globus in einer beneidenswerten Parallelwelt der Normalität, Inlandstourismus natürlich inklusive. Übrigens wurde beispielsweise in Auckland nach nur einem einzigen Corona-Fall (!) ein harter Lockdown über die ganze Stadt verhängt.

Ja, ich weiß, dass Neuseeland eine Insel ist, was hierzulande immer gerne als Lieblingsausrede dafür genutzt wird, um über die eigenen Unzulänglichkeiten hinwegzusehen. Doch darauf kommt es mir auch nicht an.

800px Jacinda Ardern November 2020 croppedNoch bemerkenswerter ist nämlich, dass es der Regierungschefin Jacinda Ardern gelungen ist, das ganze Land zu einem Team Neuseeland zusammenzuschweißen, ein Team, das ihre Corona-Politik vergleichsweise kritiklos mitträgt - trotz harter Maßnahmen. Sie hat den Begriff des Teams selbst genutzt und geprägt, was mich stark vermuten lässt, dass dahinter keine intuitive Herangehensweise, sondern strategisch durchdachte Kommunikation steckt, die - und da wird es spannend - zudem von ebenso großer Empathie, Aufklärung und Fürsorge geprägt ist. So stark, dass sie den Beinamen "Tante Cindy" erhalten hat. Fast täglich erklärt sie ihrem Team Neuseeland ihre Politik. Mit viel Energie und Verve.

Und in Deutschland?

Ich würde jetzt gerne sagen, "Mutti" lässt grüßen, aber genau das ist Angela Merkel und ihrer Riege aus Ministerpräsidenten*innen nicht im Entferntesten gelungen. Weil sie nämlich weder einen gemeinsamen Plot noch eine klare Rollenverteilung gefunden haben, in der sich die zentralen Bedürfnisse der Menschen und Bürger*innen hierzulande niederschlagen.

Was bedeutet das? Mit dem Ansatz des Storytelling, einem starken Narrativ lässt sich nicht nur überzeugendes Endkundenmarketing umsetzen, sondern jegliche Kommunikation überzeugend strukturieren und ausformen. Dabei kommt es auf zwei Elemente an: die Dramaturgie bzw. den Plot sowie die Protagonisten und ihre psychologischen Funktionen.

Heldenreise nach JosephCampbell

Dabei können wir uns klassisch am dramaturgischen Prinzip der Heldenreise orientieren, das Joseph Campbell einst als globales Prinzip erkannte. In einer derartig existenziellen Krise ist es nicht einmal schwierig, sich die Plots herzuleiten. Sie liegen auf der Hand. Wir kämpfen gegen das Böse, das Monster, auch wenn es in Form des Virus gänzlich unsichtbar ist. Das Auftauchen des Virus hat uns aus unserem Alltag herausgerissen. Wir haben uns erst geweigert, doch wir können gar nicht umhin, diese Herausforderung anzunehmen, wenn wir uns nicht gerade zu den Leerdenkern hinzugesellen wollen, die außerhalb der Solidargemeinschaft irrlichtern. Wir suchen uns Verbündete, Gegner tauchen auf, Widrigkeiten und immer wieder neue Unwägbarkeiten, Wendepunkte, kleine Erfolge und große Rückschläge. Wir sind, jede/r Einzelne von uns ist mitten in einer Heldenreise, sogar einer epochalen, mit noch ungewissem Ausgang.

Unsere Mission ist klar

Und wir haben eine Mission: Jeder für sich muss möglichst unbeschadet aus dieser Situation herausfinden - und gemeinsam im Team müssen wir das Virus besiegen. Ich vermeide sonst martialische Metaphern, aber es ist so: Wir müssen es besiegen. Auch wenn Euch vielleicht nicht der Sinn nach Prosa steht: Es ist eine Heldenreise wie gemacht für ein großes Epos.

Nun kennen wir schon seit C.G. Jung die verschiedenen Heldenrollen, die ebenso wie das Erzählprinzip der Heldenreise, als Grundstrukturen unsere menschlichen Vorstellungs- und Handlungsmuster prägen. Wir können gar nicht anders: Wir suchen nach ihnen (s. Abbildung). Und wir können sie vier grundsätzlichen assoziativen Mustern zuordnen: der Ordnung/Struktur, der Bindung, der Veränderung/dem Wandel, der Entdeckung/dem Wissen.

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Was macht nun Jacinda Ardern? Sie hat nicht nur erkannt, wie wichtig es ist, eine gemeinsame Mission als Narrativ zu formulieren, um das Team zusammenzuschweißen. Sie hat es auch verstanden, alle vier Handlungsmuster gleichermaßen und ausgewogen zu bedienen: ordnend durch Fürsorge und Kontrolle, mit starker Bindung, indem sie sich auf Augenhöhe als Freundin zeigt, wissend, indem sie stets weise und wissensbasiert argumentiert, und nicht zuletzt als klassische Heldin mit starker Führungskraft und Meisterschaft. Es ist ein Meisterwerk der Kommunikation und des Storytellings, sogar des Storydoings, denn ihren Worten folgen stets Taten.

Unser Scheitern

Müssen wir nun noch die Krisenkommunikation auf höchster Ebene in Deutschland analysieren? Die Bundesregierung und Exekutive insgesamt ist wirklich sehr gut in die Pandemie gestartet - mit Führungsstärke und Meisterschaft, mit starker Kontrolle und auch mit Fürsorge in Form starker Soforthilfen. Eine gemeinsame Mission war spürbar, nur mit der Bindung hat es von Beginn an nicht optimal funktioniert. Zu stark mutete der kontrollierende Eingriff in die Grundrechte an. Die Idee des Jedermann, der Jederfrau war nicht sichtbar. Der Kardinalfehler war jedoch ein anderer, nämlich dass auf das Storytelling, die Mission, kein Storydoing folgte. Und spätestens im November spürten alle, dass das Narrativ massiv bröckelte.

Die Fürsorge brach in sich zusammen, weil die versprochenen Hilfen nicht bei den Betroffenen ankamen. Die Kontrolle über das Geschehen ging verloren, weil nicht rigoros genug durchgegriffen wurde. Erkenntnisse aus der Wissenschaft wurden gar ignoriert, von Weisheit oder gar innovativem Erfindergeist keine Spur - im Gegenteil. Und das Vertrauen in die Meisterschaft der Helden an der Spitze brach wie ein Kartenhaus in sich zusammen, noch befördert durch einige Protagonisten, die sich durch persönliche Bereicherung aus der Riege der Jedermänner für immer verabschiedeten. Es ist eine kommunikative Katastrophe.

Um es noch einmal klarzustellen: Es geht mir hier nicht um das Nachtreten, nicht um nachholende Besserwisserei. Ich stelle auch nicht in Abrede, dass sich die meisten in der Bund-Länder-Riege bemüht haben, doch sie haben es vor allem auch kommunikativ vermasselt, weil sie diese Rollenverteilung nicht analysiert und hingekriegt haben – aus welchen Gründen auch immer.

Bei der Gegenüberstellung dieser beiden "Geschichten" aus Neuseeland und Deutschland zeigt sich jedoch, welche Macht ein positives Storytelling entfalten kann, das nicht Erzählung allein, sondern Storydoing im besten Sinne ist.

Was die Tourismusbranche und DMOs daraus lernen können

Jeder und jede, die jetzt und weiterhin durch diese Krise navigiert, mitten in dieser Heldenreise, sei es an der Spitze einer DMO, eines Verbandes, eines Unternehmens aus der Branche: Macht Euch bewusst, wie ihr diese wichtigen Rollen und Motive in Einklang bringt. Überlegt Euch genau, wie Ihr Euch zu Euren Partnern*innen, zu Leistungsträgern*innen, zu Mitarbeitern*innen, zu den Gästen stellt - und welche Geschichte Ihr erzählt.

Auf dem Weg zum narrativen Unternehmen

Für eine DMO kann dies der Schlüssel zu einem gelungenen Storytelling und Storydoing werden. Es macht Eure DMO, gerade auch im Binnenmarketing, zu einem narrativen Unternehmen, wenn Ihr Folgendes beachtet.

  • Die DMO hat eine Leit-Geschichte, die einem klassischen Plot, einer Mission gleichkommt.
  • Die Story, das Narrativ definiert eine Ambition und Haltung, die über das Ökonomische hinausgeht, einen (gesellschaftlichen) Mehrwert und ein gemeinsames Ziel.
  • Die Story hat eine Dramaturgie – einen „Plot“ mit Wendepunkten, Meilensteinen, aber auch zu überwindenden Hindernissen, ja, sogar Gegnern. Erzählt diese Geschichte.
  • Die Geschichte wird heruntergebrochen auf prägende und maßgebliche Beziehungen mit ihren besonderen Subgeschichten und Rollenverständnissen. Sie schafft ein Beziehungsgeflecht.
  • Akteure*innen in- und außerhalb der DMO schaffen und erzählen ihre Geschichten (weiter), identifizieren sich mit ihnen und profitieren gegenseitig davon.
  • Sie werden letztlich integriert ins Team und eingesetzt, um Maßnahmen, Instrumente, Lösungen in der DMO und der Destination zu entwickeln.

Selbst bei bisher vernachlässigter, fehlfunktionierender Kommunikation, kann diese Strategie und Form der Kommunikation auch im Binnenmarketing wieder zurück in die Spur führen. Man denke nur an das komplexe und schwierige Thema der Besucherlenkung oder an den Overtourism mit Spagat zwischen Bürgern*innen und Reisenden.

Gut möglich, dass Angela Merkel das alles erkannt hat, bevor sie sich in der vergangenen Woche entschuldigte. Jetzt jedoch muss es ihr gelingen, das Narrativ neu aufzubauen und vor allem in ein Storydoing umzumünzen. Beim Blick auf die Protagonisten an ihrer Seite ist jedoch zu befürchten, dass diese die Rollenverteilung einfach nicht verstehen. 

 

Gerne mehr dazu in unserem Storytelling-Seminar, egal ob im Binnenmarketing oder gegenüber Gästen, oder einfach unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

 

Bilder: Bundesregierung/Bergmann (Pressebild), Jacina Ardern/New Zealand Government - Office of the Governor-General (https://gg.govt.nz/copyright-and-licensing), eigene Darstellungen und Infografiken

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