Anja Kirig: "Resonanztourismus ist kein Luxusthema einer hippen Großstadtbevölkerung."

Geschrieben von Matthias Burzinski am . Veröffentlicht in Lernkurve (Zukunftsblog)

Anja Kirig

Das Thema Resonanztourismus wird in der Branche viel diskutiert. Die einen sehen darin die Zukunft, andere haben eine eher kritische Haltung. Der Begriff geht auf den Soziologieprofessor Hartmut Rosa zurück, der in der viel beachteten Resonanztheorie gesellschaftliche Phänomene aus einem grundlegenden menschlichen Streben nach „resonanten“ Beziehungen zu erklären sucht. Im Tourismus hat vor allem das Zukunftsinstitut den Begriff aufgegriffen. Anja Kirig gehört zum Netzwerk des von Matthias Horx gegründeten Zukunftsinstituts und klärt uns über die Hintergründe des Begriffs auf.

 

Was genau versteckt sich hinter dem Begriff Resonanz-Tourismus?

Anja Kirig: Resonanz-Tourismus ist ein neues Thema in der Tourismusbranche. Reisende folgen in Zukunft nicht mehr nur noch dem Sonnenschein, besuchen die sehenswertesten Orte oder erwarten den besten Service. In einer immer hektischeren Welt, wo Digitalität zur Normalität geworden und durchschnaufen kaum noch möglich ist, erwächst eine zunehmende Sehnsucht nach einer anderen Form von Reisen. Beziehungen, Begegnungen und Erfahrungen, sind Qualitäten, die Urlauber zunehmend suchen. Sie möchten jene Momente erleben, die sie nachhaltig in Erinnerung behalten, sie persönlich wachsen lassen und verändern. Das steht hinter dem Begriff des Resonanztourismus.

Es geht darum, Verbundenheit und Zugehörigkeit, Resonanz zu ermöglichen und transformative Reiseerfahrungen zu schaffen. Diese wirken im Individuum nach, sie verändern durch die erlebte Beziehung.

Können Sie Beispiele für sogenannte Resonanzerfahrungen nennen?

Je nach Individualität können Resonanz-Momente auf unterschiedliche Weise entstehen: bei einer Dschungeltour, einem Strandurlaub in einer Hotelanlage, bei einem Festival, auf einer Kreuzfahrt oder bei der Begegnung mit anderen Menschen in einer Nachbarstadt. Resonanzerlebnisse sind etwas sehr Persönliches und entsprechend vielschichtig.
Für viele bietet Natur sich als Resonanzraum an, aber zum Beispiel auch erlebbare Architektur – ich denke hier an ein begehbares Dach wie bei der Oper in Oslo –, oder auch jene Angebote, die persönliche oder berufliche Fortbildungen ermöglichen.

Wie genau lässt sich das Bedürfnis nach Resonanz in den Wünschen und Vorstellungen der Reisenden erkennen?

Für Reisen und Unterwegssein sind Resonanzerfahrungen jene Momente, die ein Erlebnis für eine Person sehr individuell und transformativ werden lassen. Aus sich überlagernden Resonanzmomenten werden für die Person begleitende Erfahrungen. Das kann sich zwischen Menschen entwickeln, in Kontakt mit Natur oder Kultur oder eben auch durch Resonanz mit einem Thema, Spiritualität, Geschichte.

Das heißt, Resonanz-Tourismus ändert die Motivation der Reisenden, weg von Pauschalreisen hin zu achtsamen Reisen?

Die Sehnsucht nach Veränderung treibt die Reisenden von heute an. In Zukunft werden resonante Erfahrungen die Reisebiografien der Menschen prägen. Dies kann inneres Wachstum in Form von Entwicklung und Selbstveränderung sein, aber auch äußeres Wachstum durch transformative Kommunikation, Begegnungen und Umwelterfahrungen. Reisen hat somit eine neue Bedeutung, einen neuen Wert für die Reisenden: Sie reisen nicht mehr an einen Ort, weil man dort gewesen sein muss, weil der Ort Entspannung verspricht oder ein All-inclusive-Buffet lockt. Stattdessen machen sie sich auf den Weg, um eine Erfahrung zu machen, die losgelöst ist von jedem Serviceangebot, jeder Sehenswürdigkeit und jedem Versprechen von Sonnenstunden, auch nach der Reise.

Wie lässt sich dieser Trend jetzt schon erkennen?

Was sich ganz klar sagen lässt: Resonanztourismus ist kein Luxusthema einer hippen Großstadtbevölkerung. Man muss sich nur die vielen Menschen anschauen, die Campen und Wandern gehen, die Radtouren machen oder eben auch ganz bewusst nach Alternativen zu überlaufenen Hotspots Ausschau halten. Phänomene wie Bikepacking sind längst im Discounter angekommen. Ich würde sagen, viele suchen genau in ihrer Auszeit eine solche Resonanzerfahrung, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Aus unserer Spaß- und Erlebnisgesellschaft wird eine Erfahrungsgesellschaft. Das bedeutet, dass es gerade auf Reisen nicht länger um ein kurzfristiges Erlebnis geht, sondern um anhaltende Erfahrungen. Und das betrifft Menschen unabhängig von Herkunft, Alter, Kontostand.

Wie lässt sich dieser Trend hin zum Resonanz-Tourismus erklären?

Dieser Trend lässt sich schon länger beobachten, wie auch schon durch eine Studie des Zukunftsinstituts belegt worden ist.
Verstärkt wurde dieser Trend durch die Corona-Pandemie. Diese wirkte wie ein entscheidender Einschnitt in diese ständige Verfügbarkeit des Reiseangebotes. Das hat Aspekte verstärkt wie bodengebundenes, naturnahes Reisen. Durch eine neue Wertigkeit des Reisens wurde auch die individuelle Frage wichtiger, was ich eigentlich von meiner Auszeit erwarte und mitnehmen möchte. Workation als Kombination aus Arbeit und Auszeit kann ebenfalls als ein Baustein betrachtet werden, der dazu beigetragen hat, dass ein Phänomen wie Resonanz-Tourismus zugenommen hat.

Welche Einflüsse wird dieser Trend nun für Unternehmen der Tourismusbranche mit sich bringen?

Tourismusakteure müssen sich von Anbietern von Produkten und Dienstleistungen zu Gestaltern von Lebens- und Resonanzräumen entwickeln, um in Zukunft erfolgreich zu sein. Das bedeutet auch, dass sie sich nicht nur auf ihr eigenes Angebot und die Touristen konzentrieren, sondern auf alle Aspekte, die Beziehungs“räume“ darstellen können. Dafür ist die Lebensqualität für alle Menschen vor Ort relevant - einschließlich der Mitarbeitenden. Außerdem müssen die Tourismusakteure ihren Fokus neu ausrichten: Nicht nur auf das "Was", sondern auf das "Wie" ihres Handelns. Auf diese Weise kann der Tourismus in Zukunft eine neue Qualität erreichen, als wertvoller Erfahrungs- und Begegnungsraum, der Lebensqualität bietet - und sich gleichzeitig vom Tourismus, wie wir ihn kennen, lösen.

Evaneos zum Beispiel setzt sich für einen verantwortungsvolleren Tourismus ein: Ohne die negativen Auswirkungen zu ignorieren, konzentriert sich die französische Reiseplattform auf die positiven Effekte - vor allem auf die lokale Wirtschaft, indem sie eine möglichst enge Zusammenarbeit mit den lokalen Akteuren ermöglicht. Die Reisenden werden direkt mit ihren lokalen Experten in Kontakt gebracht und gestalten so gemeinsam unvergessliche Resonanzerfahrungen.

Wie genau sieht dann die Zukunft des Tourismus aus? Wird es wirklich eine Abkehr vom Massentourismus geben?

Irgendeine Form des Massentourismus wird es immer geben, nur wird sich ein Tourismus für Massen an das Bedürfnis nach Resonanz anpassen. Die Konzepte dafür, wie wir sie aktuell kennen und für „normal“ halten, werden sich ändern. Genauso wie sich touristische Konzepte in den vergangenen Jahrzehnten und auch Jahrhunderten gesellschaftlichen Bedürfnissen und Strukturen angepasst haben.


Folgt man dem Ansatz der Resonanz des Soziologen Hartmut Rosa, lässt sich Resonanz gar nicht bewusst erzeugen, weil sie ja aus der Interaktion mit dem Reisenden entsteht. Das ist ein sehr persönliches Empfinden. Wenn das nicht planbar ist: Wie können dann überhaupt Resonanzräume geschaffen werden? Ist das nicht eine „Scheinresonanz“ hinter der sich letztlich nur neue touristische Produkte verbergen?

Ich stimme Rosa in dem Punkt zu, dass sich Resonanz nicht auf Kommando erzeugen lässt. Sich dessen bewusst zu sein, halte ich für elementar, wenn ich versuche, Resonanzräume zu gestalten. Natürlich kann sich jemand der Illusion hingeben, eine Resonanzerfahrung gemacht zu haben, da die Sehnsucht nach Verbindung und Beziehung in unserer Gesellschaft so groß ist.

Resonanz „zu verkaufen“ kann nicht gelingen, darüber sollten sich Anbieter klar sein. Dennoch ist es ein Unterschied, wie ich etwas und was ich anbiete. Welche Atmosphäre ich schaffe, welche Möglichkeiten zum Kontakt, wieviel Raum und Zeit ich zur Verfügung stelle usw. Aber es benötigt jeweils zwei Seiten, es ist nie eine Einbahnstraße. So gibt es stets auch die Möglichkeit einer Resonanzverweigerung.

Das Relevante ist, dass ich mir als Anbieter von Reisen oder als Gestalter von Destinationen darüber klar werde, dass es sich bei Resonanzerfahrungen um eine Unverfügbarkeit handelt, die weder gesteigert werden kann, im Sinne der Effizienz, noch sich erzwingen lässt.
Gerade diese Unkontrollierbarkeit und Unverfügbarkeit sind die Voraussetzungen für Resonanzerfahrungen.

Herzlichen Dank für das Interview!


Anja Kirig ist studierte Politikwissenschaftlerin und arbeitet als freiberufliche Zukunfts- und Trendforscherin. Seit 2005 gehört sie zum Netzwerk des von Matthias Horx gegründeten Zukunftsinstituts. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf den Themenfeldern Tourismus- und Freizeitkultur, Sport und Gesundheit sowie den Megatrends Neo-Ökologie, Post-Individualisierung und Gender Shift. Sie lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und bezeichnet sich selbst als „kritische Zukunftsoptimistin“.

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