Böhmermann, Tommy Tellerlift und das Ischgl-Fieber: Der Alpentourismus auf dem Weg zur Lachnummer?

Geschrieben von Matthias Burzinski am . Veröffentlicht in Lernkurve (Zukunftsblog)

 

Jan Böhmermann knöpft sich in seinem ZDF Magazin Royale Ischgl und die gesamte österreichische Tourismusindustrie vor. Bei aller satirischen Überspitzung: Der Alpentourismus dieser Prägung hat ein Problem, das auch schon davor nicht mehr zu leugnen war.

"Schon das Logo sieht aus, als könnte man Ischgl in der Halbliterdose kaufen und mit ordentlich Wodka mischen..."

So startet Jan Böhmermann in sein Skitourismus-Feature, das den Finger in so ziemlich jede klaffende Wunde des Alpentourismus österreichischer Prägung legt: Ignoranz der Risiken, Dominanz der Werbung über eine transparente Krisenkommunikation, toxischer Lobbyismus, kommerzielle Ausbeutung der Naturlandschaft, peinliche Auswüchse des Partytourismus, kulturelle Entgleisungen etc. etc. Nun sollte man nicht vergessen, dass zum Angebot dieser Art natürlich auch die passenden Gäste gehören, natürlich auch aus Deutschland. Demnach reicht es nicht, nur mit dem Finger auf die Nachbarn zu zeigen. Wenn Jägermeister das "Maggi der Alpen" ist, dann wird er auch von Gästen aus vielen Nationen konsumiert.

csm boemernann jan 2b955cd759Böhmermann zitiert, gewissermaßen zum Gedenktag an die Virenschleuder Europas im vergangenen März, ausgiebig aus den rund 10.000 Seiten der Ermittlungsakten zur Causa Corona in Ischgl, die der Redaktion offensichtlich vorliegen. Sagen wir mal so: Von den Verantwortlichen in Ischgl über die Landessanitätsdirektorin bis hin zur Österreich Werbung, Tirol Werbung und Franz Hörl kommt niemand gut weg. Zu verräterisch sind deren Äußerungen und Irrtümer. So wollte man offenbar dem Virus zunächst "mit einer Kommunikationsagentur" begegnen, die Bedenken zerstreuen sollte. Nun ja, das Virus wird sich wenig beeindrucken lassen.

Und die Lernkurve ist eindeutig flach gewesen in diesem Jahr: „Momentchen mal, gemütlich mit fünf Fremden aus vier verschiedenen Haushalten in der Seilbahn-Gondel schmusen und aus einem im Gebüsch gefundenen Ski-Helm Frittatensuppe schlürfen, mitten in der Pandemie? Was soll denn dabei schiefgehen?“

Die Brandkatastrophe von Kaprun im Jahre 2000 dient Böhmermann und seinem Team dann noch als Blaupause dafür, dass in Österreich mutmaßlich das Image des Tourismus wichtiger sein könnte als notwendige Lehren für die Sicherheit der Gäste und Menschen. Und er inszenierte grauenvoll-genüsslich die rücksichtslose Naturzerstörung für die Zusammenlegung von Skigebieten - etwa zwischen Ötztal und Pitztal.

"Melkt die Gletscher solange sie noch kalben..."

Im Finale präsentiert sich Böhmermann in täuschend-echt-peinlicher Kopie der vermeintlichen Alpen-Stimmungskanone Andreas Gabalier: Das Video von „Tommy Tellerlift und den Fangzauner Schneebrunzern“ mit ihrem Hit „Ischgl-Fieber“ ist so eine Art Todesstoß für eine zweifellos stark überarbeitungsbedürftige Idee des Alpentourismus. Obwohl man auch Zweifel äußern darf, ob alle Reisende ohne Video die satirische Zerschlagung der ohnehin schon musikalischen Zumutung eigentlich bemerken. Schließlich ist ja Party weiter angesagt, oder?

 

 

Nun ist es keine neue Erkenntnis, dass Ischgl und vielleicht sogar die "Übermarke" Tirol, letztere auch durch die jüngsten Ereignisse und die landesinterne Reisewarnung, ein Problem haben. Nur mit einem Austausch des ohnehin Netzhautschwund verursachenden Ischgl-Logos wird es nicht getan sein. Der Alpentourismus ist in einer Sinnkrise. Anders gesagt: Er muss seinen Sinn wieder finden. Dass muss kein Ende des Skitourismus, kein Ende der Seilbahnen sein. Aber es muss ein Innehalten geben und eine qualitative Erneuerung. Sonst werden die Alpen irgendwann auch noch zur touristischen Lachnummer.

Bild Jan Böhmermann: Copyright ZDF / Ben Knabe

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