Die TI im Transformationsprozess: Neue Management Modelle gefragt

Geschrieben von Matthias Burzinski am . Veröffentlicht in Future.TI: Blog zur Zukunft der Tourist Information

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Im Rahmen der ITB Berlin konnten wir erstmals Ergebnisse aus unserer Studie Future.TI zur Zukunft der Tourist Information präsentieren und mit Experten im Rahmen eines Podiums diskutieren. Wer noch Zweifel am Wandel des klassischen TI-Modells hegte, konnte sich hier eines Besseren belehren lassen: Der Kopf muss raus aus dem Sand. Die Transformationsprozesse sind in vollem Gange.

Sie erinnern sich vielleicht: Dem Einstieg in unsere Studie war eine These vorausgegangen, nämlich dass das mobile Internet und die Digitalisierung des touristischen Geschäftsprozesses zahlreiche Funktionen und auch Einnahmequellen der klassischen TI in Frage stellt und gefährdet. Jetzt wissen wir: Der Sturm tobt bereits und spült den Sand davon. Mehr noch: Die TI gerät von vielen Seiten unter Druck. Weitere Einflussfaktoren hebeln das klassische TI-Modell aus, was uns bewogen hat ein neues TI.Management-Modell zu entwickeln (TI.MM).

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Wandel im Gästeverhalten

Die Auswertung unserer Befragung START.TI – basierend auf bislang rund 240 verwertbaren Fragebögen von TI-Betreibern – macht den Wandel sichtbar: Die Gäste kommen besser informiert in die Destinationen und TIs, dem entsprechend haben Sie wesentlich spezifischere Fragen. Zwar gibt es noch immer den halb- bis unwissenden „Was-kann-ich-denn-hier-so-unternehmen?“-Typ, zunehmend wird er jedoch flankiert vom „Das-weiß-ich-doch-schon-ich will-mehr-wissen“-Typ. Die Gäste lassen sich zudem deutlich seltener ein Zimmer vermitteln, sowohl direkt in der TI als auch telefonisch. Dem gegenüber steigen die Anfragen über digitale Kanäle weiter stark an. Stationäre Info- und Buchungsterminals werden bereits seltener genutzt, WLAN wird immer häufiger nachgefragt.

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Dem gegenüber steigt die Nachfrage nach beratungsintensiveren oder teils noch eher schlecht online verfügbaren Angeboten, z.B. Tickets, Gäste- oder Stadtführungen. Auch Insidertipps, etwa im Bereich der Gastronomie, sind gefragt. Vor diesem Hintergrund können einem TI-Servicekräfte, die ihren Gästen aus politischen und Proporzgründen keine konkreten Tipps geben dürfen (immer noch Alltag in vielen TIs), ein wenig leid tun.

Dies ist aber auch ein Ansatz, soziale Medien stärker in die TI zu integrieren. Nicht nur Hotels werden im Internet bewertet, auch die Gastronomie und viele Attraktionen müssen sich dem Transparenzanspruch der Gäste stellen. Es wird daher sicher eine der wesentlichen Aufgaben der TI sein, diese Bewertungen, diese Tipps der eigenen Gäste sichtbar zu machen – sei es vor Ort in der TI oder auch in anderen Kanälen.

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Handlungsbedarf: Geplante Maßnahmen

Interpretationsfähig ist sicher noch die erkennbare Tendenz, dass junge Reisende und Jugendliche deutlich seltener eine TI aufsuchen. Dies kann zum einen auch schon früher aufgrund einer grundsätzlich anderen Interessenlage so gewesen oder zum anderen bereits dem demographischen Wandel geschuldet sein. Wenn sich dies jedoch zusätzlich damit überlagert, dass junge Reisende wesentlich häufiger das mobile Internet nutzen, kann es bedeuten, dass nachwachsende Zielgruppen gar kein Interesse mehr an TIs und ihren Angeboten zeigen werden. Die TI wird zum Objekt der Tourismusarchäologie.

Egal, sagen Sie? Hauptsache die Reisenden sind informiert und kommen auch so zu uns? Kann sein. Jedoch sollte der direkte Kundenkontakt nicht unterschätzt werden – auch (oder sogar gerade) Jüngere schätzen diesen sozialen Austausch, nur integrieren sie ihn flexibler in ihre Lebenswelt. Die TI ist und bleibt für die Destinationsmanager die einzige persönliche Schnittstelle zum Kunden und Gast, ist gewissermaßen eine Kennenlernstation. Sollte man diese so leichtfertig aufgeben?

Wohl nicht: Der Handlungsbedarf wurde dem entsprechend vielerorts bereits erkannt. Das zeigen zum einen die Selbsteinschätzungen der TI-Betreiber, zum anderen aber auch die geplanten Maßnahmen.

Die Vernetzung mit digitalen Angeboten und Services, der Erlebniswert, das Shopangebot, die Ausschilderung und auch die Repräsentation der Marke werden in der Selbstwahrnehmung tendenziell eher schlecht eingestuft, wohingegen Standort und Servicequalität eher gut eingeschätzt werden. Architektur und Gestaltqualität zeigen ein indifferentes Bild.

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Die von den Befragten bereits geplanten Maßnahmen in den TIs zeigen die Kehrseite dieser Selbsteinschätzung: Zwar steht die Qualifikation der Mitarbeiter als Schlüsselfaktor weiterhin ganz oben auf der Agenda, doch dann folgen auch schon „Neue Medien, Technologien und Installationen“, „Mehr Vernetzung mit Leistungsträgern“, „Mehr Vernetzung mit anderen Informationsangeboten“, „Neue Einnahmequellen“, „Prozessoptimierung“, „Neugestaltung/Architektur“, „WLAN“, „Neues Shopkonzept“, „Verkaufspsychologische Optimierung“ oder auch „Vernetzung mit anderen Tourist Infos“.

Tourist Information.Management Modell (TI.MM)

Diese Zwischenergebnisse(die Befragung läuft noch bis zum 22. März) können nur erste Schlaglichter auf die aktuelle Situation in den TIs werfen. So haben wir bei der Auswertung der Befragung die Standortfaktoren noch vollkommen außer Acht gelassen und auch die abgefragten Kennzahlen (Umsatz, Kosten, Personal, …) noch nicht ausgewertet.

Hier ist, wie bei vielen anderen noch zu differenzierenden Ergebnissen auch, eine Auswertung erst dann wirklich sinnvoll, wenn man die TIs typisiert und unterscheidet. Denn – und das ist die wichtigste Erkenntnis auch aus der Vorstellung der von uns ausgewählten Fallbeispiele: Tourist Informationen weisen eine erhebliche Spannbreite auf und bedürfen der Differenzierung nach Art der Destination, angebotenen Funktionen und Services, Stand der Integration und Kooperation mit Partner und auch Standorten.

Eine Metropolen-TI wie die von Armin Dellnitz vorgestellte TI Stuttgart unterscheidet  sich deutlich von der TI einer Flächendestination, die von den Frequenzen an eine Hauptverkehrsachse profitieren soll, wie Harald Gmeiner am Beispiel der TI für die Alpenregion Tegernsee Schliersee aufzeigte, oder von einer TI an der eher beschaulichen, ländlich geprägten Mosel, die durch Kombination mit einem Heimatmuseum und durch regionale Aufladung aufgewertet werden kann, wie Dr. Thorsten Smidt erläuterte. Dies sind nur drei mögliche Typen von vielen, die es im Zuge von Future.TI zu differenzieren gilt.

Darauf aufbauend haben wir ein TI-Management Modell (TI.MM) entwickelt, das wir nun im Rahmen der Einzelkonzepte vor Ort einsetzen und in einem der nächsten Blogbeiträge hier näher erläutern möchten.

Podiumsdiskussion: Integration, Marke, Strukturen und Geld

Welche unterschiedlichen Funktionen eine TI im Rahmen der Destinationsentwicklung einnehmen kann, zeigte noch einmal die abschließende Podiumsdiskussion. Dazu wurde das Podium mit den Referenten durch Detlef Klinge von der Thüringer Tourismus GmbH, Werner Schlösser vom aachen tourist service als Vertreter des Deutschen Tourismusverbandes sowie Stefan Niemeyer von neusta eTourismus verstärkt.

Besonders deutlich wurde an den Beispielen aus Stuttgart und Tegernsee Schliersee, welche integrative Kraft eine TI für die Marken- und Destinationsbildung sein kann, repräsentiert sie doch als Flagship store wie kaum ein anderes Instrument die Destination als solche. Diese Innenwirkung ist zwar monetär nicht zu bewerten, jedoch ein wichtiger qualitativer Effekt.

Zudem zeigte vor allem das Beispiel Stuttgart, dass durch ein integratives Konzept und eine Modernisierung und digitale Vernetzung neue Zielgruppen erschlossen werden können. So ist etwa auch der VfB Stuttgart mit einem Shop in der TI vertreten, ebenso wie die großen Automobilmuseen und andere Partner. Das Durchschnittsalter der Besucher ist infolge der Neukonzeption um rund 10 Jahre gesunken.

Erneute Investitionen in die Medieninfrastruktur der TI-Stuttgart in diesem Jahr zeigen jedoch auch, dass die Zeit hier nicht still steht. Der Wandel wird zum Programm, und das nicht nur technologiebedingt.

Detlef Klinge machte aus Sicht der Thüringer Tourismus GmbH deutlich, dass die TI sowohl marken- als auch strukturell relevant ist. Zudem weist Thüringen mit einer eigenen Landes-TI in Erfurt eine Besonderheit auf. Daher hat die Thüringer Tourismus GmbH innerhalb der Future.TI-Studie auch eine Sonderstudie beauftragt. Darin werden wir nicht nur vier unterschiedliche Pilotstandorte untersuchen, um individuelle Entwicklungsmöglichkeiten in verschiedenen Destinationstypen aufzuzeigen (Stadt, Kurort, ländlicher Raum, Landes-TI). Zudem werden die TIs in vier Subdestinationen Thüringens als Teil der gesamten Informationsinfrastruktur vernetzt betrachtet. So schlagen wir eine Brücke von der so genannten Familienmarke Thüringen bis hinunter zur Ortsebene.

Werner Schlösser lenkte die Aufmerksamkeit auf einen weiteren wichtigen Faktor, der letztlich nicht nur für die TI, sondern alle freiwilligen Leistungen der öffentlichen Hand Zukunftsängste weckt: die Finanznot der Städte und Gemeinden. Es erscheint schon ein wenig paradox, dass in Zeiten, in denen der Bundesfinanzminister den ersten ausgeglichenen Haushalt seit „gefühlten“ Jahrhunderten anstrebt, so manche Kommune unter den Sparzwängen ächzt und auch lieb gewordene Klassiker wie die TIs in Frage stellt.

Das mag angesichts der klassischen Zuschuss-TI sogar verständlich sein, leugnet aber, dass die TI durchaus auch neue Refinanzierungsquellen erschließen und auch eigenrentierlich betrieben werden kann. Dazu muss allerdings auch der politische Wille da sein.  Fest steht: Der Druck auf die TIs steigt dadurch zusätzlich, und das angesichts der Tatsache, dass die notwendigen Umstrukturierungen kaum ohne zunächst unrentierliche Re-Attraktivierungsinvestitionen gemeistert werden können.

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Da dürften einige auch erschreckt zugehört haben, als Stefan Niemeyer in seinem Statement zur Vernetzung zwischen analoger TI und digitaler Sphäre offenbarte, dass die aktuelle digitalen Transformationen noch lange kein Endstadium darstellen und sich vermutlich Vernetzungsmöglichkeiten auftun werden, die wir uns heute vielleicht noch gar nicht vorstellen können. Für die einen eine Drohung, für die anderen Verheißung.

Wir schlagen uns auf die Seite der Verheißung: Für alle sollte klar sein, dass eine einzige Umstrukturierung der TI nicht die Lösung sein wird. Vielmehr gilt es auch hier, flexibler zu werden. Die Anforderungen der Gäste, ihr Informations- und Buchungsverhalten wandeln sich weiter, der Innovationsdruck bleibt, die Markenentwicklung über alle Ebenen ist Pflichtaufgabe. Der Wandel könnte zum Programm werden. Dies gilt es in unserer Studie und unserem TI-Management-Modell zu berücksichtigen. Für die TIs kann dies bedeuten: Keine Angst vor Risiken, Mut zum Experiment. Möglicherweise wird die TI sogar zu Ihrem Symbol für den Wandel der ganzen Destination.

Schöne Grüße
Matthias Burzinski

Downloads
    Vortrag „Future.TI – Zwischenergebnisse“, ITB Berlin 2014
    Fallbeispiel Stuttgart
    Fallbeispiel Alpenregion Tegernsee Schliersee
    Fallbeispiel Mosel