Kranker Gesundheitstourismus: Am Gast vorbei geplant

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Typologie-von-Gesundheitsurlaubern


Vieles wurde schon im Gesundheitstourismus analysiert, nur die Gäste, die hat kaum jemand befragt. Für eine neue Studie wurde genau dies getan - mit überraschenden Ergebnissen, die so manche bisherigen strategischen Überlegungen ad absurdum führen.

Wenn viele gesundheitstouristische Angebote lediglich als „Reparaturwerkstatt für den Arbeitsmarkt“ verstanden werden, dann müsse bei der Angebotsentwicklung etwas falsch laufen, so die Thesen der Forscher. Die Studien der Kölner Unternehmen Trendscope und INNCH, die gemeinsam mit der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) durchgeführt wurden, wollten Missverständnisse im Gesundheitstourismus aufdecken und die tatsächlichen Bedürfnisse der Nachfrager typisieren.

Aufgrund der demografischen Entwicklung, der Zunahme klassischer Volkskrankheiten und des Rückgangs bezahlter Gesundheitsdienstleistungen wird ein boomender Gesundheitstourismusmarkt erwartet: Die Menschen werden – so glaubt man bislang - als Selbstzahler in ihrer Urlaubszeit präventive oder kurative gesundheitstouristische Angebote buchen. Die jetzt durchgeführten tiefenpsychologischen Befragungen von Gesundheitstouristen und potentiellen Nachfragern sollen zeigen, dass diese Schlussfolgerung zu kurz gegriffen sei. Dahinter verbirgt sich eine mögliche Erklärung, warum die Nachfrage deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt.

Urlauber wollen nicht als Patienten angesprochen werden

Klassische gesundheitstouristische Angebote wie Kuren oder Medical Wellness würden mit Genussfeindlichkeit und einengenden Therapieplänen verbunden. „Damit ich danach wieder funktioniere“, so klingt oft der unangenehme Beigeschmack. Der Wunsch, im Urlaub etwas für seine Gesundheit zu tun, sei jedoch durchaus vorhanden. Unter Gesundheit und Gesundheitsurlaub verstünden die Befragten nur etwas ganz anderes, z.B. einmal nach eigenen Bedürfnissen leben, oder mit sich und der Natur in Einklang zu sein. Ärzte und Apparate machten ihnen hingegen Angst.

Als Grund für diese Situation sei in der Studie ein kultureller Trend ausgemacht worden, der gleichbleibende Fitness und Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter als Ideal vorgebe. Dieser Trend durchziehe den Alltag und sei oft mit existentiellen Ängsten verbunden. Aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen stützten diesen Trend: Rente ab 67, drohende Altersarmut, wirtschaftliche Verunsicherung und eine immer brüchiger werdende soziale Absicherung. Viele gesundheitstouristische Angebote folgten exakt dem gleichen kulturellen Diktat: „Du sollst fit und leistungsfähig bleiben, bis ins hohe Alter.“

Diese Rechnung haben die Anbieter aber ohne den Wirt, den potentiellen Kunden, gemacht. Als Selbstzahler und gerade im Urlaub denken diese offenbar gar nicht daran, sich diesem Druck zu beugen. Urlaub sei für sie das Gegenprogramm zum Alltag mit all seinen Verpflichtungen und seinem impliziten Jugendwahn. Hier suchten sie nach dem, was im Alltag zu kurz komme – und sie manchmal auch krank mache: Leben in Einklang mit der Natur seines Körpers, sinnliche Erlebnisse, entspanntes Miteinander von Gleichgesinnten, ein ganzheitliches Wohlfühlen von Körper und Seele. Das sei für sie Gesundheit, und mache einen Urlaub zum Gesundheitsurlaub, für den man bereit sei, Geld auszugeben und seine Urlaubszeit zu verplanen. Werde eine Behandlung fern der Heimat nötig, werde dies nicht als Urlaub sondern als stationäre Therapie erlebt, für die die Krankenversicherung (zumindest zum Teil) aufkomme und für die man nicht seine wertvolle Urlaubszeit opfert.

Sechs verschiedene Typen von Gesundheitsurlaubern

Die konkreten Anforderungsprofile der Gesundheitsurlauber hingen davon ab, wie sie ihren eigenen Alltag erlebten und wie sie mit dem ‚Diktat von Jugendlichkeit’ umgingen. Dabei ließen sich sechs typische Umgangsformen differenzieren:

  • Die Unbedarften machten sich über ihr Leben, ihren Körper und ihre Gesundheit wenig Gedanken und seien die Einzigen, die kein Potential für Gesundheitstourismus aufwiesen.
  • Die Unentschlossenen nähmen sich immer wieder vor, mehr für ihre Gesundheit zu tun, könnten meist aber ihren ‚inneren Schweinehund’ nicht überwinden und hätten dann ein schlechtes Gewissen. Gesundheitsurlaub sollte ihnen möglichst spielerisch Angebote machen, bei denen sie etwas für ihre Gesundheit tun.
  • Die Unzufriedenen erlebten ihren Alltag als ‚Hamsterrad’ und suchten im Gesundheitsurlaub v.a. Inspiration und Anregung für ein anderes, besseres Leben, während sich die Ausgebrannten aus ihrem i.d.R. sehr einbindenden Alltag erst einmal freischwimmen müssen, und dann Entspannung erst (wieder) lernen müssten.
  • Eher spirituelle Angebote suchen die Achtsamen, die in ihrem Alltag bereits eine gesunde Ausgeglichenheit gefunden hätten.
  • Die Fanatiker täten am meisten für ihre Gesundheit, sie trieben Sport und ernährten sich diszipliniert – denn sie hätten die größte Angst vor dem Älterwerden und das kulturelle Ideal am meisten internalisiert. Als einziger Typus seien sie offen für Angebote, bei denen man seine Leistungsfähigkeit oder sein jugendliches Aussehen erhalten und perfektionieren könne.

Alle Typen erlebten sich nicht als Patienten und möchten auch nicht so angesprochen werden. Ein Großteil der – v.a. indikationsorientierten - gesundheitstouristischen Angebote gehe jedoch davon aus, dass sich die Kunden als Selbstzahler und in ihrem Urlaub als Patienten reparieren lassen wollten – um im Alltag und am Arbeitsmarkt wieder zu funktionieren. Diese Annahme habe sich als grundlegend falsch erwiesen.

Dies führe dazu, dass 45 % der über die Deutsche Zentrale für Tourismus und die einzelnen Landesmarketingorganisationen buchbaren gesundheitstouristischen Angebote die sechs Gesundheitstourismustypen nicht ansprächen. Dies bedeute, dass nahezu die Hälfte der derzeit über die genannten Kanäle vermarkteten Angebote an den Bedürfnissen und Erwartungen der Zielgruppe vorbei gehe.

Darüber hinaus seifestzustellen, dass der größte Teil (39 %) der untersuchten Angebote (784 Angebote wurden analysiert) die Unentschlossenen anspreche. Für Achtsame, Ausgebrannte und Fanatiker zusammen, seien derzeit gerade einmal drei Prozent der Angebote von Interesse. Ein grundlegendes Umdenken bei der Erstellung gesundheitstouristischer Angebote sei daher erforderlich.

http://www.trendscope.com/nachlese-gesundheitstourismus-kongress