Radtourismus: Mecklenburg-Vorpommern droht den Anschluss zu verlieren

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Radwandern MV Ruegen Strand


Unter dem Titel „Aufbruch oder Stillstand?“ diskutierten rund 80 Teilnehmer in Rostock Perspektiven für den Radtourismus in Mecklenburg-Vorpommern, die Entwicklung der Radinfrastruktur sowie Handlungsoptionen für Politik und Verbände. Viele fürchten, MV könnte den Anschluss verlieren.

Auf der ersten gemeinsam veranstalteten Radkonferenz haben der Allgemeine Deutsche Fahrradclub MV (ADFC) und der Landestourismusverband mit einem Aktionsprogramm aus acht Punkten mehr Aufmerksamkeit und Zusammenarbeit für den Radtourismus im Land gefordert.

„Radverkehr funktioniert dann am besten, wenn die Anforderungen Einheimischer und Urlauber in Einklang gebracht und nicht voneinander losgelöst behandelt werden. Um alle Möglichkeiten des Ausbaus und Erhalts auch touristischer Wege zu nutzen, brauchen wir ein stärkeres Denken und Handeln über einzelne Zuständigkeiten auf den Ebenen des Landes, der Landkreise und der Kommunen hinaus“, erklärte Jürgen Seidel, Präsident des Tourismusverbandes MV. Das Land bleibe in der Entwicklung des Radverkehrs unter seinen Möglichkeiten, was weniger am finanziellen Spielraum als an der optimierbaren Abstimmung läge. „Wir müssen auf Basis festgelegter Schwerpunkte noch integrierter und effizienter planen, um den Bedürfnissen von Einheimischen und Touristen gleichermaßen gerecht zu werden“, so Seidel. Radfahren ist aktuellen Erhebungen zufolge die wichtigste Urlaubsaktivität im Nordosten; 41 Prozent aller Gäste des Landes nutzen das Rad während ihres Aufenthaltes.

MV rutscht in Bewertung ab

Jürgen Seidel verwies darauf, dass Mecklenburg-Vorpommern im auch aufgrund des E-Bike-Trends ansteigenden Radtourismus die lang besetzte Spitzenposition eingebüßt habe: Das Urlaubsland rutschte laut der ADFC-Radreiseanalyse 2016 von Platz drei auf Platz sieben der beliebtesten Radreiseregionen Deutschlands ab. „Dies ist ein Dämpfer für das Radreiseland Mecklenburg-Vorpommern“, sagte der Verbandspräsident. Auch die Zufriedenheit der Gäste mit den Radwegen sank empfindlich: Im Sommer 2009 wurden die Wege von den Urlaubern im Nordosten auf einer Notenskala von 1 bis 6 noch mit durchschnittlich 1,78 bewertet. Dieser Wert sei laut der aktuellen, repräsentativen Gästebefragung, dem Qualitätsmonitor Deutschlandtourismus 2015/16, auf 2,04 abgesunken.

„Wir müssen jetzt gegensteuern“, sagte Martin Elshoff, stellvertretender Vorsitzender des ADFC-Landesverbandes. Er bezeichnete in diesem Zusammenhang die inzwischen sehr gute Kooperation zwischen ADFC und Tourismusverband als beispielgebend. „Der ADFC erhofft sich davon eine stärkere Förderung des Radtourismus durch Landesregierung und eine konstruktive Zusammenarbeit mit den regionalen Tourismusverbänden.“ Die Anforderungen an Wege, Beschilderungen, Rastplätze sowie an die Vermarktung hätten in Zeiten vernetzter Beförderungsmittel, Digitalisierung, E-Mobilität und nachhaltigem Verkehr weiter zugenommen.

Übergreifende Radverkehrskonzeption erforderlich

Das auf der Konferenz vorgestellte Aktionsprogramm umfasst acht Punkte: Unter anderem wird darin die bessere Verbindung von Freizeit- und Alltagsverkehr ausgehend von einer reibungslosen Zusammenarbeit der zuständigen Ministerien über die Landkreise bis zu den Kommunen gefordert. Dazu sei eine ressortübergreifende Radverkehrskonzeption mit klaren Verantwortungen und Aufgabenstellungen erforderlich. Weiterhin solle der Ausbau touristischer Strecken insbesondere auf den Fern- und Rundwegen mittels der in Strategiegesprächen zwischen Tourismusverbänden, Landkreisen und Kommunen abgestimmten Prioritätenliste erfolgen. Demnach gelten von den Fernwegen unter anderem der Ostseeküsten-Radweg, der Radweg Berlin-Kopenhagen, der Mecklenburger Seen-Radweg, der Oder-Neiße Radweg und der Radweg Hamburg-Rügen als besonders wichtig.

Stärker müsse das Land zudem die veränderten Anforderungen an die Infrastruktur unter anderem durch die Zunahme von Elektrofahrrädern berücksichtigen. Eine einheitliche Wegweisung, moderne Ladestationen, höhere Kapazitäten für die Fahrradmitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln sowie die intelligente Vernetzung mit anderen Verkehrsmitteln seien erforderlich.

Tourismusforscher: Radtourismus braucht starken politischen Rückhalt

Überdies müsste das Qualitätsmanagement im Radtourismus zum Beispiel durch die Zertifizierung von Wegen, Quartieren und Infostellen wieder eine größere Rolle spielen, um die Gästezufriedenheit zu erhöhen. Im Jahr 2017 soll daher bei einer Konferenz speziell die Herausforderung, touristische Infrastruktur an Radwegen in dünn besiedelten Regionen aufrecht zu erhalten, thematisiert werden. Außerdem sei geplant, das Marketing mit dem touristischen Themenjahr „Radwanderland Mecklenburg-Vorpommern 2018“ zu stärken.

„In der Vor- und in der Nachsaison sowie in den Auslandsmärkten liegen bei einer Trendumkehr noch erhebliche Potenziale für den Radtourismus in Mecklenburg-Vorpommern. Der Nordosten muss bei Innovationen, Investitionen und integrierter Zusammenarbeit wieder eine führende Rolle einnehmen. Radwege sind Lebensadern gerade im ländlichen Raum“, erklärte Tourismusverbandspräsident Jürgen Seidel.

Dr. Mathias Feige (dwif-Consulting) bezeichnete im Rahmen der Konferenz den Radtourismus in MV als einen etablierten, ökonomisch hoch interessanten Markt mit weiteren guten Entwicklungsperspektiven für mehr Wertschöpfung: „Hauptaufgaben sind der Erhalt der Qualität der Infrastruktur, eine Konzentration auf wirklich nachfragestarke Bereiche und Strecken sowie eine noch konsequentere Zielgruppenorientierung in der Angebotsgestaltung und der Kommunikation.“ Der Radtourismus in MV brauche daher starken politischen Rückhalt. Nach Angaben Dr. Feiges betrage der Netto-Umsatz im Radtourismus in Deutschland rund 13 Milliarden Euro, die Netto-Wertschöpfung belaufe sich auf etwa 7,3 Milliarden Euro.

Überblick über das Aktionsprogramm Radtourismus von ADFC und Tourismusverband MV

1.    Radverkehr als wichtigen Mobilitäts- und Wirtschaftsfaktor stärker wahrnehmen und berücksichtigen

  1. wirtschaftliche und soziale Bedeutung des Radtourismus anerkennen
  2. Vernetzung von Freizeit- und Alltagsverkehr nutzt Bevölkerung und Touristen
  3. dem Wert entsprechende Einbindung in Landestourismuskonzeption, politische Programme und den integrierten Verkehrsplan des Landes
  4. Sicherung, Kontinuität und Nutzung von Marktforschung

2.    Erstellung einer ressortübergreifenden Radverkehrskonzeption für Mecklenburg-Vorpommern

  1. Grundlage für ergebnisorientierte und effiziente interministerielle bzw. Ebenen übergreifende Zusammenarbeitb.    Berücksichtigung (unter anderem):
    –    verschiedene Interessensgruppen
    –    einheitliches Wegekataster
    –    Qualitätsmanagement
    –    Sicherung der Datengrundlage

3.    Klare Regelung der Zuständigkeiten

  1. Belebung und Neustrukturierung einer interministeriellen Arbeitsgruppe Radverkehr
  2. Festlegung klarer Verantwortlichkeiten für den Radverkehr/Radtourismus in allen zuständigen Ministerien, Landkreisen und Kommunen i. S. v. Aufgabenteilung
  3. Schaffung und abgestimmte Zusammenarbeit mit den koordinierenden Stellen auf Landesebene (Landesradwegemeister-/in) und auf kommunaler Ebene (geplante AG fahrradfreundlicher Kommunen in MV, Landesamt für Straßenbau und Verkehr, ADFC und TMV)

4.    Touristischer Radwegebau

  1. Schwerpunktsetzung auf Fern- und Rundwegen mittels einer Prioritätenliste, die zwischen Fachverbänden, Landkreisen und Kommunen in Strategiegesprächen abgestimmt wurde
  2. Beispiel Fernwege: Ostseeküsten Radweg, Radweg Berlin-Kopenhagen, Mecklenburger Seen Radweg, Oder-Neiße-Radweg, Radweg Hamburg-Rügen prioritär
  3. Lückenschlüsse mit den stärksten Effekten (i. S. v. Doppelnutzung)
  4. Berücksichtigung der Schwerpunkte in der Förderpolitik

5.    Sicherung und Ausbau einer zeitgemäßen Infrastruktur

  1. Ausbau Intermodalität und Optimierung der Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln für vernetzte Mobilität
  2. einheitliche, lückenlose Wegweisung nach Empfehlungen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV)
  3. Erhöhung der Kapazitäten für die Fahrradmitnahme in Bahn und Bussen
  4. Schaffung von sicheren Fahrradabstellanlagen an touristischen Sehenswürdigkeiten
  5. Bestandsaufnahme und Sanierung von Schutzhütten und Rastplätzen Ausrichtung und Anpassung der Radwege und Infrastruktur an neue technische Anforderungen (Befahrbarkeit mit höherer Geschwindigkeit, Transporträder, Fahrradanhänger, Ladeinfrastruktur)

6.    Stärkung des Qualitätsmanagements im Radtourismus

  1. Analyse und Umsetzung von Zertifizierungen (z. B. ADFC-Qualitätsradrouten, BettundBike, ServiceQ, i-Marke)
  2. Bewertung der Kundenzufriedenheit

7.    Konferenz zum Thema „Förderung und Sicherung der touristischen Infrastruktur im Radtourismus“ im Jahr 2017
Schwerpunkte unter anderem:

  1. Beherbergungs- und Gastronomieangebote
  2. Freizeitinfrastruktur
  3. Wegeinfrastruktur und Kommunikationssicherheit
  4. Wettbewerb „Fahrradfreundliche Kommune“

8.    Stärkung des touristischen Marketings mit dem Themenjahr „Radwanderland Mecklenburg-Vorpommern 2018“
Ziele (unter anderem):

  1. Belebung der Vor- und Nachsaison
  2. Stärkung des Auslandsmarktes
  3. Produktinnovationen
  4. Radtourismus als Kernaktivität bei Gästen und Einheimischen verankern

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www.auf-nach-mv.de/radrundwege

Foto: TMV/outdoor-visions.com