Windkraft und Tourismus: Deutsche Urlauber nur bedingt tolerant

am . Veröffentlicht in Nachhaltigkeit & CSR

Der Bau von Windkraftanlagen nahe Tourismusorten auf dem Land und vor der Küste sei mit erheblichen Risiken für den Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern verbunden. Dies soll eine neue Studie belegen.

Die jetzt veröffentlichte, für die deutsche Bevölkerung repräsentative Studie „Tourismus, Erneuerbare Energien und Landschaftsbild“ des Kieler NIT-Institutes für Tourismus und Bäderforschung in Nordeuropa gebe den Betrachtungsstand zum aktuellen Zeitpunkt wieder: Demnach nähmen knapp zwei Drittel der reisenden Deutschen Eingriffe in ihre Urlaubsregion wahr, die das Landschaftsbild stören könnten. Jeder zehnte Urlauber fühle sich durch Bauten wie Autobahnen, Hochhäuser, Solarpanele oder Windräder gestört – die Hälfte davon (5,1 Prozent) durch Merkmale erneuerbarer Energien. Befragt wurden insgesamt 6.070 Personen.

45 Prozent der Befragten gaben an, Produktionsorte erneuerbarer Energien wie Windkraft-, Solar- und ferner auch Biogasanlagen im Urlaub  wahrzunehmen. Dies entspreche 24,6 Millionen Deutschen. 2,8 Millionen Menschen fühlten sich davon gestört; bereits 1,5 Millionen davon empfänden Windkraftanlagen und -parks als störend – eine Zunahme bei weiterem Ausbau sei anzunehmen.

In Mecklenburg-Vorpommern und Norddeutschland dominiere im Vergleich zu süddeutschen Bundesländern und Mittelgebirgen die Wahrnehmung von Windkraftanlagen und -parks, d. h. diese würden häufiger wahrgenommen als andere Eingriffe ins Landschaftsbild. 7,7 Prozent der Mecklenburg-Vorpommern-Urlauber störten sich schon heute an Windenergieanlagen und -parks – ein Wert, der deutlich über dem Durchschnitt (4,2 Prozent) liege; ebenfalls überdurchschnittliche 1,1 Prozent wollten aufgrund dessen den Nordosten nicht wieder besuchen.

Aktuell sage rund ein Prozent aller Urlauber in Deutschland, dass es aufgrund einer Landschaftsstörung durch Anlagen der erneuerbaren Energien nicht mehr in die entsprechende Urlaubsregion fahren werde. Das sei möglicherweise ein geringerer Prozentsatz, als auf Seiten der Kritiker des Ausbaus insbesondere der Windkraft befürchtet worden sei. Jedoch handele es sich bei der Studie um ein Meinungsbild, das auf der aktuellen Situation fuße. „Ein weiterer Ausbau der Windenergie in Tourismusgebieten wird das Bild verschieben – mutmaßlich zum Negativen, dafür muss man kein Prophet sein“, meint Jürgen Seidel, Präsident des Landestourismusverbandes. Überdies gebe die Studie ein Gesamtbild für Deutschland ab, empfehle aber gleichzeitig, Konfliktebenen auf örtlicher oder regionaler Ebene separat zu betrachten.

Wissenschaftliche Begleitung erforderlich

Seidel bezeichnete die im Entwurf zum Landesraumentwicklungsprogramm verfassten Pläne zum Ausweisen von Vorranggebieten für die Windenergiegewinnung in der Nähe touristischer Zentren im Land und vor Ostseebädern in den Küstengewässern als Risiko für die Tourismusbranche und Gefahr für das Image des gesamten Bundeslandes. „Wir stellen uns selbstverständlich nicht gegen die energie- und industriepolitischen Ziele des Bundes und des Landes. Aber wir fordern einen Ausbau mit Maß und einen verantwortungsvollen Umgang im Sinne einer genauen Risiken- und Folgenabschätzung.“ Kluge Kompromisse, kleinräumliche Betrachtungen und Rücksichtnahmen auf politische Entscheidungen vor Ort seien notwendig. Raumplanung auf regionaler und auf Landesebene könne und solle nicht an der Mehrheitsmeinung vorbei erfolgen, sagte Seidel.

Laut Seidel sei es nötig, weitere wissenschaftliche Erkenntnisse und Folgenabschätzungen insbesondere mit Bezug auf den Wirtschaftsbereich Tourismus in Betracht zu ziehen. Er plädierte zudem für eine wissenschaftliche Begleitung des Ausbaus der erneuerbaren Energien sowie für periodische Gäste- und Einwohnerbefragungen. „Mit einem solchen Monitoring oder Screening lässt sich im Prozess auf Entwicklungen reagieren, die aus heutiger Sicht nicht absehbar sind“, erläuterte Seidel. Niemand könne zurzeit mit Sicherheit sagen, wie die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus in 20 oder 30 Jahren auf die Windkrafttechnologie und dementsprechend auf die Windräder im Land blickten und welche Einstellung sie dazu hätten.

„Die Perspektive hängt nicht zuletzt vom Erfolg und von der Vermittlung der Energiewende ab“, sagte Seidel. Der Tourismusverband erkenne darin auch eine Aufgabe für Mecklenburg-Vorpommern. Deshalb fordert er vom Land eine konzeptionelle Anpassung der touristischen Marken- und Kommunikationsstrategie an die Bedingungen einer stärkeren „Industrialisierung der Landschaft“, um das Image des Urlaubslandes positiv zu verstärken.

Keine Arbeitsplätze riskieren

Von Seiten der Tourismusbranche in MV gebe es eine breite Beteiligung an der Landesraumentwicklungsplanung, die die ernsthafte Sorge um einen der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes widerspiegele. In den Stellungnahmen der touristischen Landes-, Fach- und Regionalverbände fänden sich viele kritische und zugleich konstruktive Anmerkungen, die im weiteren Planungsprozess Berücksichtigung finden und zu Anpassungen und Kompromissen führen sollten.

Konfliktpotenziale würden u. a. mit den Bereichen Energie und Landwirtschaft gesehen. Auch werde seitens der Branche kritisiert, dass touristische Flächen im Land und auf dem Wasser weiterhin lediglich als Vorbehaltsflächen, aber nicht verbindlich als Vorrangflächen ausgewiesen seien, was einen Nachteil gegenüber anderen Nutzungsformen darstelle. Es solle geprüft werden, Vorranggebiete auch für den Tourismus auszuweisen und diesen in den Leitlinien der Landesentwicklung insgesamt angemessener zu berücksichtigen.

Der Landestourismusverband fordert überdies, dass alle touristischen Betriebe und Arbeitsplätze in MV auch bei neu definierten Raumnutzungen gesichert sein müssten. „Neu geförderte Technologien und Industriezweige müssen einen nachvollziehbaren Mehrwert für das Land und seine Bewohner bringen und dürfen funktionierende Wirtschaftssysteme nicht verdrängen oder gefährden“, heißt es entsprechend. Insbesondere die nahe der touristischen Zentren im Landesinneren und die im Küstenmeer vor Ostseebädern geplanten Gebiete für die Windenergiegewinnung vertrügen sich in ihrer Dimension sowie in ihrer Lage nicht mit der für erfolgreichen Tourismus notwendigen Landschaftsprägung.

Verweise auf angedachte Sichtkorridore, auf den potenziellen Unterschied von Planung und Umsetzung, auf den längerfristigen zeitlichen Horizont der Umsetzung oder auf die wider Erwarten mehrheitlich nicht negativen Erfahrungen mit ersten Windparks wie „Baltic I“ vor Fischland-Darß-Zingst reichten als Begründung und Fundierung keineswegs hin, um konkrete Befürchtungen hinsichtlich der aktuellen Raumplanung aufzulösen.

Der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern unterstütze insofern die auch von regionalen Tourismusverbänden erhobene Forderung nach einer Erhöhung der Minimaldistanz der Eignungsgebiete für Windenergie zur Küste und dem Ausschluss einer Verbauung weiter Bereiche des Horizontes im Sinne einer Riegelwirkung. Auf dem Land sei aus Sicht des Tourismusverbandes MV bei der landesseitigen und regionalen Raumplanung insbesondere auf die Tourismusschwerpunkt- und -entwicklungsräume Rücksicht zu nehmen, sodass insbesondere entwickelte Tourismusstrukturen hier vorrangig betrachtet werden.

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Tags: Bundesland: Mecklenburg-Vorpommern
Destinationen: Ostsee